Die Stimme der Stille
An seine Vergangenheit als buddhistischer Mönch erinnert äußerlich nur noch die Glatze. Andy Puddicombe, 48, sieht eher aus wie ein Surflehrer: gebräunt, muskulöser Oberkörper, enges schwarzes Shirt. Den Videocall nimmt er in Sintra entgegen, einer Kleinstadt bei Lissabon, nahe an der Atlantikküste. Im vergangenen Sommer ist Puddicombe mit seiner Frau und zwei Kindern nach Portugal gezogen. Nach acht Jahren im kalifornischen Santa Monica, dem Hauptsitz seines Meditationsunternehmens Headspace, wollte er wieder zurück nach Europa – auch, um während der Pandemie etwas näher an seinen Eltern in England zu sein. Auf die Sonne und die Wellen, an die er sich in Kalifornien gewöhnt hat, wollte er aber nicht mehr verzichten (ein Surfer ist er tatsächlich). Ob im Anschluss an das Interview eine private Meditation gewünscht sei, fragt die Pressesprecherin. Die biete Puddicombe allen Gesprächspartnern an. Doch am Ende reicht die Zeit fürs Meditieren nicht aus – wie so oft im Alltag.
Puddicombe, laut New York Times "der Jamie Oliver des Meditierens", hatte viele Leben. Nach der Schule studiert Puddicombe in London Sportwissenschaften. Als er eines Abends mit seiner Clique vor einem Pub steht, rast ein betrunkener Autofahrer in die Gruppe hinein und tötet zwei seiner Freunde. Drei Monate später stirbt seine Halbschwester bei einem Fahrradunfall. Dann verliert seine Ex-Freundin bei einer Operation das Leben.
Mit 22 bricht Puddicombe sein Studium ab und wird Novize in einem buddhistischen Kloster in Nordindien. Insgesamt sechs Jahre verbringt er in Klöstern in Nepal, Tibet und Myanmar, er meditiert bis zu 18 Stunden am Tag. In Nordindien wird er zum voll ordinierten Mönch in Tibetischer Tradition und unterrichtet danach vier Jahre lang Meditation in Asien und in Russland.