Wir sind unter euch

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Maximale Dreistigkeit lautet die Strategie. Das heutige Ziel ist ein Gullydeckel, der zum unterirdischen Fluss Neglinka führt. Er liegt direkt vor einer U-Bahn-Station, im Spotlight der Straßenlaternen. Es ist zwei Uhr nachts, aber wegen des Feiertags ist das Zentrum von Moskau voller Menschen. Angeschwipst laufen sie über den Platz. Taxis halten am Straßenrand. Auf der Bank neben dem anvisierten Gullydeckel raucht ein Pärchen. Die drei Frauen und vier Männer in dunklen Klamotten befestigen trotzdem unbeirrt ihre Stirnlampen. Sie sind zwischen Anfang 20 und Anfang 30 und wollen heute unterirdisch so nah an den Kreml kommen, wie es geht. Pawel, der eine graue Jeans trägt, durch die eine Wunde von der vorherigen Expedition eitert, nimmt Fackeln aus dem Kofferraum eines Autos. Die wollen sie am Ziel unter der Erde anzünden. "Das ist unsere Art, den Tag des Sieges zu feiern", sagt er.

Es ist die Nacht auf den neunten Mai, der Tag, an dem Russen den Sieg über den Nationalsozialismus zelebrieren. Ab dem frühen Morgen werden Hunderttausende in Moskaus Innenstadt strömen, um auf den Straßen zu feiern oder die Parade auf dem Roten Platz anzuschauen, bei der die Regierung 13.000 Soldaten samt Panzer und Militärgerät aufmarschieren lässt. Die Angst vor Anschlägen und das Polizeiaufgebot sind hoch. "Wenn wir erwischt werden, gibt's Knast", sagt Andrej, ein Kfz-Mechaniker mit wilden Locken und wildem Blick. Er trägt einen schwarzen Overall, damit Passanten ihn für einen Kanalarbeiter halten, und spricht das Wort Knast so fröhlich aus, als würde er gerade eine Runde Gratis-Shots ankündigen. Unklar, ob er sich auf ein Abenteuer freut oder nur seine Nervosität überspielen will.

 

Foto: @Pawel

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